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Seraphina Lenz, Sonya Schönberger

7. November 2017 bis 17. Januar 2018





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Seraphina Lenz, Sonya Schönberger

Vollkomfort

 

Die Ausstellung zeig die Ergebnisse der Recherche von Sonya Schönberger, die in diesem Jahr die Bewohnerinnen der Zingster Straße 25 befragt hat und einen Überblick über die partizipativen Arbeiten von Seraphina Lenz. Die Ausstellung „Vollkomfort“ liefert so einen Einblick in die parizipative Kunst.

Seraphina Lenz

Seit 1999 ist die Stadt Ort und Thema der Arbeit von Seraphina Lenz. In jenem Jahr schnitt sie das Wort „Wollnashörner“ aus einer Rasenfläche im Berliner Körnerpark aus. Gras und Gänseblümchen, die einige Wochen nicht gemäht worden waren, blieben als monumentaler Schriftzug stehen, während sie die Negativform minutiös mit einem Kantenschneider wegrasierte. Diese erste öffentliche Arbeit dauerte viele Tage und führte zu der Entdeckung, dass öffentliches Arbeiten Passanten zu Kommentaren herausfordert. Mehr noch: man konnte überraschende Gespräche zu ortsbezogenen Themen beginnen.

Die performativen Interventionen, die Seraphina Lenz seither für den Stadtraum entwickelt sind Vorschläge für Veränderung. Sie machen die Formbarkeit des städtischen Raums sichtbar und stellen eine Öffentlichkeit her, in der die Gestaltung des gemeinsam genutzten Raums thematisiert werden kann. Die Arbeiten haben den Charakter von Produktionen, an denen ein Team von eingeladenen Künstlern und eine Gruppe von Anwohnern mitarbeiten.

Für die grüne Nacht (Areale Neukölln 2001) bat die Künstlerin in einer mehrwöchigen Informationskampagne die Bewohnerinnen und Bewohner eines 23-stöckigen Hochhauses, für eine Nacht in den Lampen ihrer Wohnungen grüne Glühlampen zu installieren. Am Ende entstand aus den Privaträumen heraus durch die gleichzeitige minimale Handlung ein signalartiges öffentliches Bild.

Mit der Werkstatt für Veränderung realisierte sie ihr, vom Bezirksamt Neukölln durch einen Wettbewerb beauftragtes, Gestaltungskonzept für den Carl-Weder-Park. Es beschreibt die Benutzung der Fläche als einen plastisch-gestalterischen Vorgang. Die künstlerische Intervention bestand darin, über ein ganzes Jahrzehnt jeden Sommer eine Verwandlung der Parkanlage zu gestalten. Jenseits einer vordergründigen Nützlichkeit wurden verschiedene Nutzungsmöglichkeiten ausprobiert. So wurde der Park unter anderem zur Pferdekoppel, zum Gemüsegarten, zum nächtlichen Lesesaal und zum Filmset. Im Laufe der Jahre zeigte sich in diesen Arbeiten verstärkt die Bedeutung des Stadtraums als Aufführungsort.

Im jüngsten Projekt Anspiel interessierte sich Seraphina Lenz für die Perspektive der Anwohner auf die Internationale Gartenausstellung 2017 in Marzahn Hellersdorf. Auf Einladung zum kuratierten Kunstverfahren der IGA recherchierte sie von 2013 bis 2016 im Bezirk. Daraus entstand das Anspiel-Ensemble mit 16 ortsansässigen Protagonisten. Ein knappes Jahr wurde wöchentlich geprobt und diskutiert. Mit der Schauspielerin und Regisseurin Anja Scheffer und dem Ensemble realisierte die Künstlerin eine Performance, die das städtische Umfeld mit historischen und aktuellen Aspekten in der Gartenausstellung aufführte. Das Ensemble bewegte sich über das Gelände, nahm Raum ein, stand im Weg, bildete Soundduschen und dialogische Chöre. Ein DDR-Museum auf Rollen begleitete das Stück.

Sonya Schönberger

Auf dem VIII. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) 1971 verkündete der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker das Vorhaben, durch die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik das materielle und kulturelle Lebensniveau der Menschen zu erhöhen. Dazu gehörte auch ein Wohnungsbauprogramm, das bis 1990 angemessenen Wohnraum für alle DDR-Bürger*innen schaffen sollte. Mittels industrieller Technologien wie der Plattenbauweise wurden bessere materielle Voraussetzungen für eine höhere Bauleistung geschaffen und die benötigte soziale Infrastruktur für die neu entstehenden Bezirke von Anfang an mitgeplant. In der Folge dieser Planung entstand auch Neu-Hohenschönhausen. Am 9. Februar 1984 legte Honecker in der Barther Straße 3 den Grundstein zu der neuen Großraumsiedlung. Damals war das Gebiet zwischen den nördlich gelegenen Dörfern Falkenberg, Malchow und Wartenberg und dem südlichen Alt-Hohenschönhausen eine Gegend mit Rieselfeldern und bot viel Raum für den versprochenen Einsatz gegen die Wohnungsnot. Rund 30.000 Wohnungen für 90.000 Menschen entstanden in den fünf Folgejahren.

Die Künstlerin Sonya Schönberger, selber in Berlin-Kreuzberg wohnend, begab sich im Sommer 2017 in diese vermeintliche Fremde, einem Teil von Berlin, den sie zuvor nicht bewusst betrachtet hatte. Sie wollte wissen, wie man dort lebt, wie man sich fühlt in Bezug auf den Rest der Stadt, wie sich dort die Generationen und verschiedenen Kulturen begegnen, wie man sich an die DDR erinnert und die Wende erlebt hat.

25 Interviews hat sie mit Bewohner*innen des Hauses Zingster Straße 25 geführt, in dem sich auch die kommunale Galerie studio im HOCHHAUS befindet. Zingster Straße 25 ist auch der Titel des Interviewbuches, das in Kooperation mit der Galerie und dem Verlag „Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt“ entstand.

Fotos: Thomas Bruns

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