Robert Gschwantner
Backdrift
20. September bis 19. November 2023
Im Dezember 1999 havariert der Hochseetanker Erika vor der bretonischen Küste und verursacht einen enormen Ölteppich. Diesen metaphorischen Begriff für über das Meer schwappendes Öl habe ich in seine konkrete Bedeutung transferiert, indem ich vor Ort ausgeflossenes Erdöl einsammelte und damit dünne, transparente PVC-Schläuche füllte, aus denen ich zuvor einen Teppich geflochten hatte. Es war der Beginn einer Projektreihe, die sich mit europäischen Landschaften auseinandersetzt, die durch den Einfluss des Menschen auf außergewöhnliche Weise transformiert wurden. Ursprünglich auf die Ökologie ausgerichtet, erweiterte sich mein Fokus auf die topografischen Aspekte künstlicher Wasserlandschaften. Es sind Inseln, Seen, Kanäle, Wasserfälle, die aus politischen, wirtschaftlichen oder technischen Erwägungen konstruiert wurden und deren Entstehungsgeschichte teilweise Jahrhunderte oder Jahrtausende zurückliegt. Das Wasser konserviert diese artifiziellen Landschaftsformen und Grundrisse. Als Solitäre prägen sie die natürlich gewachsene Umgebung. Erdöl, Wasser, Schlamm und andere spezifische Relikte, die ich vor Ort sammle, werden wie Landschaftsreliquien bewahrt, indem sie als Füllmaterial für meine Teppiche und Bilder aus PVC-Schläuchen dienen.
Raum 2
Die Teppiche der Serie Lost & Found sind eine Art Remake und Fortführung meines Projekts Merci Total über die Ölpest, verursacht durch den Untergang des Öltankers Erika vor 20 Jahren. Während eine Ölpest mehr oder weniger lokal begrenzt bleibt, verteilen sich in den Weltmeeren jährlich Millionen Tonnen von Plastikmüll, der zum Teil wieder an die Strände gespült wird.
Im Jahr 2020 habe ich an einem Strand der kleinen, unbewohnten griechischen Insel Yalis Plastikpartikel, Sand und Meerwasser gesammelt und in handgeflochtene Teppiche aus PVC-Schläuchen gespritzt. In den Schläuchen sinkt der Sand im Meerwasser nach unten, während Plastikteilchen nach oben steigen, sich gegenseitig blockieren und ein zufälliges Muster bilden.
Raum 1
τέχνη (Techni), das griechische Wort für Kunst, ist ein passender Begriff, um die Landschaft um den Kanal von Korinth zu beschreiben. Der Kanal, der im 19. Jahrhundert mit großem Aufwand gebaut wurde, ist ein gewaltiger Eingriff in die Natur, trennt den Peloponnes vom Festland und macht ihn zu einer Insel. Nur wenige Jahrzehnte nach seinem Bau verlor der Kanal seine Bedeutung für die Schifffahrt, da moderne Schiffe zu groß für eine Durchfahrt sind. Geometrie, Landschaft, Technik, Kunst und Geschichte sind Facetten meiner Bildobjekte. Jede Arbeit aus der aktuellen Werkreihe The Dividing Line besteht aus mehreren Schichten und damit verwobenen Perspektiven. Den Bildträger überspannen PVC-Schläuche, die mit Meerwasser aus dem Kanal gefüllt sind. Dahinter befindet sich eine Glasplatte, die zur Hälfte mit einem geometrischen Motiv überzogen ist. Die nicht bemalten Leerstellen geben den Blick frei auf einen im Bildgrund montierten Spiegel. Je nach Blickwinkel des Betrachtenden spiegeln sich darin aktuelle Satellitenaufnahmen und Landschaftsbilder rund um Korinth aus dem frühen 19. Jahrhundert, eingerahmt von einem klassischen Holzrahmen. Der Effekt des Auftauchens der Landschaften entsteht dadurch, dass sich diese Landschaftsmotive auf der Rückseite der geometrisch bemalten Vorderseite befinden. Indem die Landschaft als ephemeres Spiegelbild erfahrbar ist, schwebt sie wie eine Erscheinung im Raum und verschmilzt mit der konkret fassbaren Vorderseite zu einem komplexen Ganzen. (Robert Gschwantner, 2023)




