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Bild: Pia Linz, Zingster Straße 25, 2020

25. August bis 10. November 2021

Matthias Beckmann, Patrick Borchers, Bea Davies, Jorn Ebner, Juliane Laitzsch, Pia Linz, Christoph Peters

aufzeichnen

Zeichnung als Dokumentation

Die von Matthias Beckmann mitkuratierte Ausstellung „aufzeichnen“ gibt einen Einblick in die „zeichnerische Dokumentation“.

Die Ausstellung zeigt an sieben künstlerischen Positionen exemplarisch die Zeichnung als zeitgenössisches künstlerisches Medium der Dokumentation. Herangehensweisen, Formate und Techniken sind so unterschiedlich wie die Sichtweisen der Zeichnerinnen und Zeichner. Manche von ihnen werden den Begriff Dokumentation ablehnen, da er nur einen Teil ihrer Arbeit betrift.

In umfangreichen Zeichnungsfolgen werden Orte akribisch beschrieben. Der Comic lässt Bilder und Texte Geschichten erzählen. Die Spur des Stiftes kann Bewegungen und Handlungen nachspüren. Schwarze Punkte bringen in ihrer Verdichtung die Schönheit japanischer Teeschalen zur Erscheinung. Die Zeichnung ist Textur und beschäftigt sich mit Textur. Territorien werden erwandert, vermessen und aufgezeichnet. Mit geeigneten Liniennetzen kann man Schätze aus den medialen Bilderfluten heben. Und immer gilt, dass Zeichnen wie auch Sehen ein Akt der Interpretation ist. Das absichtslose Sehen, die reine Dokumentation gibt es nicht.

Matthias Beckmann

“Matthias Beckmann zeichnet vor Ort. Er braucht keine andere Vorlage als die gerade anvisierte Situation. Die ergreift er im Sehen, ja, es scheint so, als lege er wie in einer Art skelettierenden Solarisation die offensichtliche Lineatur frei. Der dafür notwendige Röntgenblick scheint angeboren. Mühelos durchdringt er die verwirrenden Ablenkungen des farbigen Hell-Dunkels, zurück bleibt ein netzartiges Konzentrat, das nichts Wichtiges vergisst. Details sind zu erkennen, Vorne und Hinten, Nähe und Ferne schaffen den Raum, Gegenstände, Schattenfugen oder die Maserung des Holzes werden in den sich bietenden Umrissen entsprechend übersetzt. Eine strukturelle Plausibilität hat das Sagen, die immer ein wenig am Rande eines ornamentalen Realismus steht. Trotz der partiell automatisch anmutenden Übertragungsarbeit ist die Fähigkeit vorhanden, zu ignorieren, zu übersehen, was den Blättern immer wieder schöne Freiflächen, bzw. natürliche Gewichtungen beschert. Festgehalten wird nur das Notwendigste. Ohnehin wirken diese Zeichnungen wie im Weiß aufgehängt.” (Reinhard Ermen, Matthias Beckmann, Kunstforum International, Band 231, 2015, Titel: Zeichnen zur Zeit VII, S. 166)

Matthias Beckmann wurde 1965 in Arnsberg geboren und lebt als Zeichner in Berlin. Er hat an den Kunstakademien in Düsseldorf und Stuttgart studiert. Seine streng linearen Werke entstehen ohne fotografische Hilfsmittel oder vorbereitende Skizzen direkt vor dem Motiv. Seit einigen Jahren arbeitet er auch an Zeichentrickfilmen. Seine künstlerische Arbeit wurde u.a. gefördert durch ein Arbeitsstipendium des Kunstfonds Bonn, ein Auslandsstipendium des Landes Nordrhein-Westfalen für Paris, ein Stipendium der Künstlerhäuser Worpswede, das Casa-Baldi-Stipendium in Olevano Romano und einen Arbeitsaufenthalt im Atelier des Landes Oberösterreich im Salzamt Linz. Matthias Beckmanns Werke befinden sich in vielen grafischen Sammlungen, z.B. in Berlin, Bonn, Bremen, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Oberhausen oder Wuppertal.

Patrick Borchers

“Borchers Zeichnungen sind Bilder fragmentierter Wirklichkeitserfahrung, die sich in einem einfachen, zentralperspektivischen Narrativ nicht mehr vermitteln lässt. Wir stehen vor dem Bild wie in einem japanischen Zen-Garten und sind nicht in der Lage, die Totalität der Komposition, die genaue Anzahl der Steine auf dem Kiesbett zu erfassen, wo auch immer wir stehen, das Gesamtbild ist nicht komplett.” (Aus: „Elefantenbabies und tote Terroristen – zu Patrick Borchers bildanalytischen Hieroglyphen der Gegenwart.“, Jan-Philipp Fruehsorge, S.3, 2017)

Patrick Borchers wurde 1975 geboren, ist Zeichner und Videokünstler. Er lebt und arbeitet in Hagen und Dortmund. Nach einem Kunst- und Sonderpädagogikstudium an der Universität Dortmund besuchte er die Klasse Timm Ulrichs an der Kunstakademie Münster. Seine Werke wurden in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt, beispielsweise 2008 in Kyoto und Osaka, 2011 im OK Offenes Kulturhaus OÖ in Linz, 2014 in zwei Ausstellungen im Museum Folkwang Essen, 2016 im Dortmunder U – Zentrum für Kunst und Kreativität und 2019 im Osthaus Museum Hagen. Neben seiner eigenen künstlerischen Arbeit ist er als künstlerischer Mitarbeiter im Bereich Graphik an der TU Dortmund tätig.

Bea Davies

“Vor Ort zu zeichnen ist mein Weg, um tief in das ‚Hier’ und ‚Jetzt’ zu tauchen, ein Fluchtweg aus unserer subjektiven Blase, ein Zugang zur Realität, die uns umgibt.

Das zeichnerische Festhalten von Bildsequenzen, Bewegungen, Farben und Geräuschen, die sich eben gerade vor meinem Auge abgespielt haben, ist von einer ungeschönten Unmittelbarkeit, die in anderen Medien kaum zu finden ist.

Für meine Reportagen verbinde ich das Zeichnen vor Ort mit der für den Comic typischen sequentiellen Erzählweise mit dem Ziel, den Lesern die abgebildeten Situationen und Ereignisse möglichst nah zu bringen und ihnen einen persönlichen Zugang zu bieten.”

Beatrice Davies, wurde 1990 in Italien geboren, lebt seit dem Jahr 2012 in Berlin und arbeitet als freie Illustratorin und Comiczeichnerin, unter anderem für die Obdachlosenzeitung Strassen|feger. Gefördert durch ein Stipendium beginnt sie 2010 ihre künstlerische Ausbildung an der School of Visual Arts in New York. Nach Aufenthalten in Kolumbien und Italien zieht sie mit Mann und Kind nach Berlin. Im Jahr 2015 fängt sie ein Studium der Visuellen Kommunikation an der weissensee kunsthochschule berlin an. 2016 erhält sie den Förderpreis der Comic Invasion Berlin und das Mart Stam Stipendium. 2018 wird sie von der Studienstiftung des Deutschen Volkes angenommen. Ihre erste Graphic Novel “Der König der Vagabunden”, mit dem sie 2019 unter den Finalisten für den Comicpreis der Berthold Leibinger Stiftung ist, erscheint im gleichen Jahr im avant-verlag. 2020 veröffentlicht der Jaja-Verlag einen Sammelband ihrer autobiografischen Comics unter dem Titel „A Child’s Journey“.

Jorn Ebner

“Der gedankliche Raum von Zeichnung besteht aus Schichten von Materie und Zeit. Transformationen (von Erinnerung). Zeichnung ist in meiner Arbeit analog und digital, auf Papier oder als Klang. Das Triptychon „08.12.1980“entstand 2014, nachdem ich in meinem Online-Klangprojekt „(The Beatles) in Hamburg“ (2011/2012) [http://wwwthedeatlesinhamburg.com/] akustisch die Orte nachzeichnete, an denen sich die Beatles zu Beginn ihrer Karriere in Hamburg nachweislich aufgehalten hatten. Der Tod John Lennons hat einen so dauerhaft starken Nachhall in meinem Leben, dass ich Yoko, John und das Dakota Building, vor dem Lennon erschossen wurde, als Zeichnungen umsetzen wollte”.

Jorn Ebner wurde 1966 in Bremerhaven geboren, lebt in Berlin. Studien: Magister englische Literatur, Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Hamburg (1990-95), BA (Hons) Freie Kunst, Central Saint Martins College of Art and Design, London (1995-98), Corso Superiore di arti visivi – Allan Kaprow, Fondazione Antonio Ratti, Como (1997), AHRC Forschungsstipendium, Kunsthochschule der University of Newcastle upon Tyne (2002-05). Jüngere Projekte: Projektstipendium Kunst + Kommunikation 2020, Kunsthaus Kloster Gravenhorst; AiR Niederösterreich 2019, Krems [AT], Internationale Einzelausstellungen und Beteiligungen: u.a. Kunstverein Bochum; Laura Mars, Berlin; Museo de arte contemporaneo de Bogota [CO]; Vane, Newcastle upon Tyne [UK]. Veröffentlichungen beim Verlag The Green Box, Berlin.

Juliane Laitzsch

Aus der Nähe betrachtet

Die künstlerische Arbeit von Juliane Laitzsch ist motiviert von der Neugierde, Dinge in ihrem Werden und Vergehen zu verstehen. Wie verändern sich Dinge im Laufe der Zeit und wie entstehen die entsprechenden Bilder in unseren Köpfen?

Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit historischen Textilien, aktuell handelt es sich um spätantike Textilfragmente aus Ägypten, fragt sie nach der Zeit; nach der Zeit, die sich in das Material der Textilien einschreibt, und nach der Zeit, die in der medialen Vermittlung der Objekte, in Texten und Fotografien, lesbar wird. Die Zeichnungen folgen ihren Beobachtungen, sie reproduzieren die Objekte betreffende Dokumente und sie dokumentieren ihren eigenen Entstehungsprozess. Die Zeichnung dient Juliane Laitzsch als ein Medium der Annäherung und Verlangsamung. Dabei variiert ihre Zeichentechnik von der möglichst präzisen Darstellung bis zur Telefonkritzelei. Ihre Aufmerksamkeit gilt dem Prozess des Zeichnens, seiner Eigendynamik, seinen Rhythmen, Resonanzen und Rückkopplungen.

Juliane Laitzsch wurde 1964 in Nürnberg geboren, sie studierte Bildhauerei in Bremen und an der Hochschule der Künste in Berlin. Sie erhielt Arbeitsstipendien u.a. vom Berliner Senat, vom Land Mecklenburg-Vorpommern, Forschungsstipendien von der Graduiertenschule der UdK Berlin und von der VW-Stiftung. 2019 waren ihre Arbeiten in der Ausstellung „Original Bauhaus“ in der Berlinischen Galerie und 2020 in der Ausstellung „Aus der Nähe betrachtet“ im Kulturhistorischen Museum Magdeburg zu sehen. Aktuell realisiert Juliane Laitzsch eine künstlerische Dissertation an der Kunstuni Linz, betreut von Thomas Macho, und ist Mitglied des Doktoratsprogramms „Epistemologien ästhetischer Praktiken“ in Zürich.

Pia Linz

Die „Ortsbezogenen Zeichnungsprojekte“ beginne ich meist mit der Vermessung des Ortes mit Fußschritten. Anhand der Vermessungszahlen webe ich einen Flächenplan mit freihändig gezogenen Bleistiftlinien, die von einem Koordinatensystem ausgehen, das ich am unteren und rechten Rand der Papierfläche angelegt habe. Mit einem Umhängezeichenbrett arbeite ich nun direkt vor Ort. Zeichnend und schreibend verorte ich meine über lange Zeiträume aus zahllosen Fußgängerperspektiven gemachten Beobachtungen in den Plan und vergleichzeitige sie so in einer Gesamtübersicht.

„Vor uns stehen gezeichnete Miniaturwelten, parallele Wirklichkeiten, gezeugt von Pia Linz. Hier paart sich objektive Niederschrift mit Tacit knowledge, dem impliziten Wissen, das in der Hand steckt und im Zeichenprozess aktiviert wird. Diese Ambivalenz ist das Faszinierende an den „Ortsbezogenen Zeichnungsprojekten“. Sie stehen am Rande des ontologischen Zweifels und bringen die Grundfesten der Bauten zum Wanken. Denn diese Zeichnungen öffnen nicht nur eine triviale Raum-Illusion, sondern streifen jene Grenze, an der sich Reales und Imaginäres berühren. Flächengesetzlichkeiten sind überlistet, Oberfläche und Tiefe vertauscht. In diesem Zeichnen treffen Fiktion und Fantasie mit wissenschaftlicher Forschung und mathematischer Genauigkeit zusammen. Die Grenzen von Sein und Schein, von Innen und Außen, von Nähe und Ferne verschwimmen. Pia Linz’ Zeichnung ist das Dazwischen, sie hält es fest.“ Mechthild Haas, („Pia Linz“, Ausstellungskatalog: „JE MEHR ICH ZEICHNE. ZEICHNUNG ALS WELTENTWURF“, Museum für Gegenwartskunst Siegen, 2010)

Pia Linz wurde1964 in Kronberg i.T.geboren, studierte an der Städelschule in Frankfurt am Main Malerei und Graphik. Mit ihren Arbeiten ist sie international in Ausstellungen und öffentlichen Sammlungen vertreten. Verschiedene Stipendien führten sie u.a. nach Rom (Studienstiftung des Deutschen Volkes, 1989/90), London (Hessische Kulturstiftung, 2005/06) und New York (Berliner Senatskanzlei-Kulturelle Angelegenheiten, 2010/2011). 2015 wurde sie für ihr Werk mit dem HAP-Grieshaber-Preis der VG Bild-Kunst ausgezeichnet. Seit 2016 ist sie Professorin für Zeichnung an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.

Christoph Peters

Teeschalen, sonst nichts.

Im November 2019 besuchte ich im Museum der Urasenke-Teeschule in Kyoto eine Ausstellung, in der neben berühmten Gefäßen für die Teezeremonie auch Handschriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert mit einfachen Zeichnungen der ausgestellten Objekte gezeigt wurden.

Da ich mich seit über zwanzig Jahren intensiv mit der japanischen Teekeramik beschäftige und bereits seit Längerem auf der Suche nach einem neuen Ansatz für die eigene zeichnerische Arbeit war, verband sich Beides schon in der Ausstellung zu der Idee, mich einigen der Teeschalen, die ich im Lauf der Zeit zusammengetragen habe, auch zeichnerisch zu nähern. Nach Monaten des Experimentierens entschied ich mich für die Technik der Punktschraffur, da sie einerseits große Präzision ermöglicht, andererseits auf alles vordergründig Individuelle verzichtet.

Zum Zeichnen stelle ich die jeweilige Schale in Augenhöhe auf ein Podest und leuchte sie möglichst gleichmäßig aus. Das Zeichnen ist sowohl ein Abtasten der Konturen und Oberflächen mit Auge und Stift als auch eine Annäherung an das Unsichtbare dahinter.

Christoph Peters wurde 1966 in Kalkar am Niederrhein geboren. Von 1988 bis 1994 studierte er Malerei an der Kunstakademie Karlsruhe bei H.E. Kalinowski und G. Neusel, zuletzt als Meisterschüler von Meuser. Anschließend arbeitete er fünf Jahre als Fluggastkontrolleur am Frankfurter Flughafen. Seit 2000 lebt er als Schriftsteller und Zeichner in Berlin.

Zuletzt veröffentlichte er die Romane „Das Jahr der Katze“ (2018) und „Dorfroman“ (2020), den Erzählband „Selfie mit Sheikh“ (2017), sowie den Essay „Diese wunderbare Bitterkeit – Leben mit Tee“ (2016). Sein Werk erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Aspekte-Literaturpreis 1999, den Friedrich-Hölderlin-Preis 2016 und den Wolfgang-Koeppen-Literaturpreis 2018.

Teile seiner Sammlung japanischer Keramik waren 2019/20 in der Ausstellung „Unter Freunden“ im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, zu sehen.

2020 zeigte das Otto-Ubbelohde-Haus, Goßfelden, Teeschalen und Zeichnungen. Zur Ausstellung erschien der Katalog „Teeschalen, sonst nichts“.